Einführung:
Ich möchte in diesem kleinen Charaktertagebuch, ein Experiment wagen. Ich habe beschlossen in der näheren Zukunft überwiegen zu crossgendern, wobei ich meine, dass ich hauptsächlich weibliche oder non-binäre Figuren spielen will. Der Grund dafür ist, dass man sehr viel über sich lernen kann, wenn man sich, näher mit den Charakteren beschäftigt, die man spielt, und das gilt, um so mehr, wenn man Figuren spielt, die dem eigenen Selbstbild nicht so sehr entsprechen.
Ferner gilt die These für mich: Mann spielt niemals andere Personen, sondern immer sich selbst in verschiedensten Varianten. Wenn man also eine bestimmte Figur darstellt, ist sie immer aus Aspekten des eigenen Ichs zusammengesetzt, wobei dann jedoch nur bestimmte Aspekte hervorgehoben werden. Ich erkläre den Gedanken genauer im verlinkten Podcast.
Daraus kann gefolgert werden, man kann viel über sich lernen, wenn man seine Chars analysiert und mich interessiert besonders, was ich selbst mit Weiblichkeit verbinde.
Daher also werde ich crossgendern, und die Figuren hier notierte und diskutieren. Ihr seid gerne eingeladen, mitzudiskutieren oder auch eure eigenen Chars hier drunter vorzustellen, wenn es Crossgendercharaktere sind.
Ihr könnt bedenkenlos kommentieren, weil ich die ersten drei Beiträge reserviere und bei Bedarf update. Für mein Tagebuch muss man also nicht den Thread durchsuchen.
Ok, genug erklärt. Lets go:
15.10.22
Wir spielten Seths Chaos, ein SL-loses Erzählrollenspiel von 0zzey. Es spielt im alten Ägypten und man spielt in mehrere Akten lose zusammenhängende Szenen. Um dann am Ende eines jeden Aktes eines Finale potenziell tödliche Szene gemeinsam zu spielen. In diesen Szenen zu sterben ist recht wahrscheinlich, weshalb man den Abend über mehrere Charaktere spielt. Ich bespreche im Folgenden die drei von mir gespielten Charaktere, die alle weiblich waren.
Die ägyptische Priesterin:
Eigenschaften: verführerisch, berechnend, selbst überschätzend
Die Priesterin repräsentierte ein Frauenbild, das ich nicht selten als NSC verwende, klug, intrigant, schön, die eignen Vorteile nutzend, dabei aber nicht aggressiv oder gewalttätig, sondern eher intrigant. (Eine solche Figur fällt mir leicht als weiblicher Charakter, als männlicher spielte ich es erst einmal und dann war die Figur sehr feminin.)
Die Priesterin spielte ich nur einen Akt, dann ist sie gestorben, deshalb konnte ich sie auch nicht weiter ausbauen und sie blieb eher eine Stereotype, wie auch oft NSCs. Dennoch machte sie mir Spaß. Eine solche weibliche Figur zu spielen, fühlt sich für mich sexy an. Die Frauenpower, die durch ihre sexuelle Macht kommt, ist etwas, das ich als Mann nie empfinde, in dieser Rolle aber schon.
Die Mutter des Pharaos:
Ignorant, selbstverliebt, mütterlich
Auch diese Figur habe ich nur einen Akt gespielt, dann opferte sie sich unabsichtlich für einen anderen SC. Eigentlich wollte sie ihren Sohn schützen. Oberflächlich betrachtet ist die Figur ein Klischee. Die klassische aufgeblasene Adlige, die ihre Macht über andere brutal ausnutzt, um sich über den Pöbel zu erheben. Sie war beleidigend, herrisch und im Großen und Ganzen dumm. Interessant hier ist, dass dieser Charaktertyp von mir meistens männlich gespielt wird. Durch das Opfer für ihren Sohn kommt der mütterliche Aspekt hinzu, den ich selten spiele und den ich in jedem Fall weiter ausbauen will. Habe auch schon einen Spieltermin für eine solche Figur. Bericht darüber bald.
Die Erfinderin: Brillant, aufgeklärt, leichtherzig/traurig
In Akt 3 und 4 spielte ich dann endlich eine etwas komplexere Figur, auch deshalb, weil ich mehr Zeit hatte und nicht direkt starb. Die Erfinderin war nicht schön oder besonderes eloquent, sondern neugierig und besessen vom Fortschritt. Sie baute (im alten Ägypten) sogenannte Automatons, Roboter ,die den Alltag der Ägypter revolutionierte sollten. Interessant ist, dass der Aspekt des Geschlechts bei dieser Figur zunächst deutlich in den Hintergrund rückte und das Erfinden mehr zum Tragen kam. Im dritten Akt vor allem war sie aufgeklärt, klug und raffiniert in ihren Entdeckungen. Da hätte ich sie problemlos genauso als Mann spielen können, obwohl sie dann wahrscheinlich nicht so leichtherzig gewesen wäre. Ende des dritten Aktes starb aber ihr bester Freund und das drehte die Figur ziemlich um. Von dann war sie von Trauer zersetzt und suchte ihr Heil in Drogen. Die Forschung litt. Am Ende gab es eine versöhnliche Entwicklung, aber den ganzen Akt über war sie nicht mehr leichtherzig, sondern tief traurig. Das gab der Figur massiv Tiefe, weil ich sie so in einem anderen Gefühlszustand spielen konnte. Und interessant: Plötzlich spiele das Geschlecht für mich wieder eine Rolle. Das Thema Trauer um den Freund hätte ich, glaube ich, als männliche Figur nicht so intensiv bespielt, zumindest nicht so extrovertiert dargestellt. In männlicher Rolle wäre die Trauer auch da gewesen, ich hätte sie aber nicht so deutlich ausgedrückt.
Fazit aus dem ersten beobachteten Spielabend:
- Figuren brauchen natürlich Zeit. Sie starten als Stereotypen und entwickeln sich von Szene zu Szene zu komplexeren Figuren. Das gilt auch im Oneshot.
- Themen die ich an diesem Spielabend mit Weiblichkeit in Verbindung brachte: Sexuelle Macht, Mutterschaft, (Ignoranz), Leichtigkeit, Emotionalität