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12.11.22: Die Steinzeitmutter

Die Steinzeitmutter
behütend, pragmatisch, stur

Dieses Mal spielten wir am Tisch Quietus, ein melancholisches Horrorrollenspiel für 1-2 Spieler*innen plus SL.
Wir spielten eine Mutter und eine Tochter, die in der Steinzeit vor dem eigenen Stamm flohen. In Quietus ist die Ausgangslage immer, dass man sich an einem isolierten Ort befindet, an dem es anfangs keine NSCs gibt und von irgendeiner Bedrohung heimgesucht wird. Das Worldbuilding erledigt man durch Fragen beantworten selbst.  Wir spielten also in der Steinzeit und wählten als isolierten Ort eine Gletscherspalte, in die wir auf dem Weg durch die Berge gestürzt waren.
Meine Figur, die Mutter war etwa 28 und die Figur der Mitspielerin, die Tochter zwischen 13 und 14. Es gab noch einen Sohn von etwa 7 Jahren, von dem wir durch den Sturz aber getrennt wurden.  Im Verlauf der Geschichte streiften wir durch ein eisiges Höhlensystem auf der Suche nach meinem Sohn und einem Ausgang. Dabei wurde zunehmend deutlich, dass wir von Halluzinationen oder magischen Psychospielchen einer unbekannten Entität heimgesucht wurden, denn wir hörten immer wieder die Stimme des Sohnes aus verschiedenen Richtungen, ohne ihn je zu sehen. Neben der stetig wachsenden Bedrohung durch das unbekannte Böse entfaltete sich die Hintergrundgeschichte, nach der wir vor dem eigenen Stamm flohen, weil es einen Machtwechsel im Stamm gegeben hatte und der neue Anführer das Recht beanspruchte meine Tochter zu beschlafen. 
 Die für diese Serie hier interessante Dynamik war vor allem das Macht- und Beziehungsgefüge zwischen Mutter und Tochter.

Ich hatte der Mutter folgende Charaktereigenschaften gegeben: behütend, pragmatisch, stur.

Das Spiel begann damit, dass mein Sohn vor meinen Augen im Gletscher verschwand und somit rückte das behütende zunächst stark in den Vordergrund. Ich musste ihn finden, aber zugleich meine Tochter, die sich selbst schon als Frau sah, in meinen Augen aber noch ein Kind war, beschützen. Das sorgte dafür, dass ich anfänglich sehr dominant und beschützend spielte, nie die Hand der Tochter losließ und sie ziemlich herumkommandierte. Im Gegensatz zur letzten Figur bei Dämon des Waldes war der Kommandoton aber ein Ausdruck von Sorge und Liebe, nicht von Missbilligung. Die Tochter reagierte natürlich dennoch rebellisch und bald entwickelte sich das ganze zu einem passiv-aggressiven Machtkampf zwischen den beiden Frauen. Ich hatte beim letzten Mal aber ja geschrieben, ich wolle mal ein positives Muttertochterverhältnis spielen und deswegen ließ ich meine Figur Stück für Stück die Reife und Stärke meiner tapferen und sportlichen Tochter anerkennen. Anfangs hatte ich den Weg vorgegeben und geführt, später drehte sich diese Dynamik und meine Tochter bestimmte, wo es lang ging, und kletterte gar vor, um mir den Weg per Seil zu erleichtern. Letztlich entwickelte sich so eine Comming of Age Story. Am Ende konnten wir aus dem Gletscher fliehen, fanden den Sohn aber nicht wieder. Ich hatte mehrfach angekündigt, dass ich plante, mit meiner Tochter zurück zum Stamm zu gehen, wo wir uns dann den Bedingungen des Anführers unterwerfen würden, damit er einen Suchtrupp in den Gletscher schickt, aber meine Tochter weigerte sich. Sie würde sich dem Anführer niemals unterwerfen und lieber versuchen, trotz wenig Proviant über die Berge zu einem verwandten Stamm zu kommen. Ich musste wählen zwischen meinem wahrscheinlich toten Sohn und meiner erwachsen werdenden Tochter und entschied mich, ihr zu folgen und das alte Leben hinter mir zu lassen, um wenigstens sicherzustellen, dass sie sicher im neuen Stamm ankam.

Mutter-Tochter:

Die Muttertochterbeziehung, die auch nicht ideal war, fand ich sehr spannend. Ich hatte dieses Gefühl der Verantwortung, verbunden mit so einer selbstverständlichen Verfügungsgewalt über mein Kind. Es war am Anfang einfach klar, dass ich jetzt bestimme, wie es in dieser Notlage weitergeht und dass sie zu gehorchen hat. Für meine Figur war sie noch ein kleines Mädchen, während sie sich schon als Erwachsene sah, was in der Steinzeit auch glaubhaft klingt. Diese unterschiedliche Interpretation der Situation vergifteten die Beziehung, aber nicht auf so schlimme Weise wie in der letzten Runde, sondern fühlten sich einfach ganz natürlich an. Ich musste klammern und bestimmen, damit sie sich davon abheben kann, damit sie erwachsen werden kann. Wie ein Küken, das sich aus dem Ei pellt! Als es ihr dann gelang, empfand ich sogar Stolz.

Crossgender:
Das hier drängendste Thema ist natürlich die Mutterschaft und die damit verbundene Beschützerrolle. Die Frage stellt sich, ob mein Verhalten gegenüber meinen Kindern anders ausgefallen wäre, hätte ich einen Vater gespielt. Tatsächlich bin ich mir hier nicht sicher. Es hängt natürlich stark von der Figur, ab, die ich gespielt hätte, aber nehmen wir mal an es wären dieselben Charaktereigenschaften gewesen, dann hätte ich den Machtkampf sogar weicher gespielt. Der Vater hätte, glaube ich, nicht so ein starkes Machtgefüge verspürt, sondern noch mehr Sorge auf ihren Schutz gelegt. Für ihn wäre es auch überhaupt keine Option gewesen, zurück zum Stamm zu gehen. Er ist zwar pragmatisch, aber seine Tochter hätte er diesen Schweinen nie überlassen. Als Frau war mir das genau so zu wider, aber es gab keinen Stolz oder Besitzfaktor für mich. Ich wollte nicht, dass meine Tochter das ertragen muss, aber ich sah auch die pragmatischen Seiten. Ich hatte das Gefühl, dass eine Steinzeitfrau wie meine, mit den Realitäten ihrer Welt eben umzugehen gelernt hatte (so schlimm das jetzt auch klingt). Das sagt mir, dass ich meinen männlichen Charakteren grundsätzlich etwas mehr blinden Stolz attestiere als meinen weiblichen, was ich schon mal sehr spannend finde. 
 Als Mann wäre das Abenteuer aber auch etwas anders verlaufen. An einem gewissen Punkt beschlossen wir zurückzugehen, und zu versuchen, die Gletscherspalte hinauszuklettern, was wir dann auch taten. Als Mann hätte ich das ziemlich sicher nicht gemacht (zumindest nicht mit den Charaktereigenschaften), sondern weiter gesucht. Hier wäre meine Eigenschaft “stur”, stärker gewesen als die Eigenschaft “pragmatisch”, was auch wieder einiges über mein Geschlechterbild sagt.

 Fazit: 
Das Thema Mutterschaft bleibt relevant und lässt sich wirklich wunderbar bespielen. Gerade hier zeigen sich klare Unterschiede zwischen meinen weiblichen und männlichen Stereotypen, was natürlich ein Spiegel meiner gesellschaftlichen Wahrnehmung ist.
 Außerdem frage ich mich immer mehr, was eigentlich die Ankerpunkte dieser binären Geschlechteraufteilungen sind. Gesellschaftliche Normen klingen realistisch, aber die Glaubenssätze des: “Wie verhält man sich als …” fühlen sich nicht selten intrinsisch an. Das kann aber auch einfach Wahrnehmung sein. Es wird also bald nötig sein, sich meiner Vorstellung von nicht binären Geschlechtern zu nähern und zu sehen, wo da dann der Unterschied zu den klassischen Geschlechterbildern besteht. Wird dann Geschlecht völlig egal im Verhalten oder zeigt sich dann eher ein neuer noch nicht explorierter Stereotyp?
 Die Kernfrage bleibt also bestehen und muss weiter ergründet werden: Was verstehe ich unter Geschlechterverhalten und wie zeigt sich diese Vorstellung im Rollenspiel? Stay tuned.

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